* 14. November 1900
† 2. Oktober 1990
von Henning Eisenlohr
Essay
Aaron Copland ist einer der meistgespielten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und hatte als eine der zentralen Figuren des amerikanischen Musiklebens großen Einfluss auf nachfolgende Komponistengenerationen der USA. Es war jedoch gerade dieser Erfolg, festgemacht an wenigen Werken – seinen Balletten Billy the Kid (1938), Rodeo (1942) und Appalachian Spring (1943/44), El salón México für Orchester (1933/36) und Fanfare for the Common Man für Blechbläser und Schlagwerk (1942) –, der in Europa zu einer weitgehenden wissenschaftlichen Vernachlässigung Coplands geführt hat. Dabei wird eine undifferenzierte Reduktion seines musikalischen Œuvres aufs Populistische der tatsächlichen stilistischen Bandbreite seines Schaffens nicht gerecht. Ausgehend von Einflüssen des französischen Impressionismus umfasst es Elemente der Avantgarde der 1920er-Jahre, Charakteristika des Jazz und die Auseinandersetzung mit Schönbergs Zwölftontechnik. Die Vielfalt der Stile und die Gratwanderung zwischen Werken mit ernstem Anspruch und verhältnismäßig einfachen (Gebrauchs-)Stücken ist im 20. Jahrhundert wohl nur mit dem Werk Igor' Stravinskijs vergleichbar. Gerade dieser Befund wirft aber (genau wie bei Stravinskij) die Frage nach der Einheit von Coplands Schaffen auf, nach dem übergeordneten Zusammenhang seiner Entwicklung. Einerseits bezeichnete sich Copland selbst diesbezüglich einmal als „gespaltene Persönlichkeit“ (Copland 1939d, 523; vgl. auch Copland/Perlis 1989, 18) und ...